Digitalisierung macht den Menschen nicht zum Gott

Die Digitalisierung wirft ganz elementare, theologisch relevante Fragen auf, zum Beispiel die nach dem Unterschied zwischen Gott und Mensch.

Die entscheidende Aufgabe im Umgang mit der Digitalisierung sieht Wolfgang Huber darin, dass wir als Menschen die Kontrollmacht darüber behalten

- was mit unseren Daten geschieht, 
- was mit unserer Zeit geschieht, 
- und was mit unserer Zukunft geschieht.

Wenn man das zugrunde legt, hat man ein Kriterium dafür, an welchen Stellen wir aufpassen sollten, dass wir nicht allein schon durch den Sprachgebrauch diese eigene Kontrollmacht und damit unsere eigene Autonomie gegenüber den Geräten preisgeben.

Es gilt ganz spezifisch für den Menschen und war ein großer Fortschritt im Bewusstsein menschlicher Existenz in der Neuzeit, dass der Mensch selber verantwortlich ist für die Prinzipien, nach denen er sein Leben gestaltet. Das kommt im Begriff der Autonomie zum Ausdruck: Wir sind selber verantwortlich für die Gesetze, Regeln und Prinzipien, nach denen wir unser Leben gestalten.

Und nun geben wir diese Autonomie aus der Hand, indem wir Geräten dieselbe Kompetenz zuschreiben wie Menschen. Indem wir von autonomen Fahrzeugen und gar, was ich noch furchtbarer finde, von autonomen Waffen reden. Als ob es Menschen erlaubt sei, die Entscheidung darüber, dass sie andere Menschen ums Leben bringen wollen, an Geräte zu delegieren.

Da stehen dramatische Fragen auf dem Spiel. Deswegen hat die Digitalisierung ganz viel zu tun mit der Frage unseres Menschenbilds.

Es ist ja grotesk: Auf der einen Seite minimieren wir den Menschen, indem wir seine Autonomie an Geräte delegieren, und auf der anderen Seite vergöttlichen wir den Menschen, indem wir behaupten, diese Technik werde dazu helfen, dass wir eines nicht zu fernen Tages unsterblich sind. Angesichts dieser Diskrepanz — Herabwürdigung des Menschen auf der einen Seite und quasi göttliche Steigerung der menschlichen Existenz auf der anderen Seite — finde ich, dass ganz elementare, auch religiöse, theologisch relevante Fragen auf dem Spiel stehen und dass die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch gerade heute elementar ist.

Interview mit NDR Kultur, Sendung à la carte mit Martina Kothe, 23. Dezember 2022