Durch Gottes Gnade verbunden

Die Osterbotschaft verbindet uns auch mit denen, die uns fern, und sogar mit denen, die uns fremd sind.

Beitrag von Wolfgang Huber in der Welt am Sonntag vom 12. April 2020:



Als Gruß kam die Osterbotschaft nach Europa: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.“ Der Apostel Paulus, der als erster das Evangelium auf unseren Kontinent brachte, sandte diesen Wunsch an die von ihm gegründeten Gemeinden. Er galt allen; er war keineswegs für die reserviert, mit denen der Apostel am selben Ort zusammen war.

Paulus wollte gerade die erreichen, von denen er räumlich getrennt war. Dafür scheute er keine Mühe. Der Abstand von tausend Kilometern hielt ihn nicht davon ab, vom griechischen Korinth aus an die Gemeinde in Rom zu schreiben. Alle Christen sollten sich durch Gottes Gnade verbunden wissen – und durch den Frieden, der vom auferstandenen Christus ausgeht.

Mich bewegt dieser apostolische Gruß. An diesem Ostersonntag können wir nicht wie gewohnt zusammen sein, weder in Kirchen noch in Wohnungen und Häusern. Die Generationen können sich zu Ostern nicht treffen, Gottesdienste sind nur online möglich. Gerade weil die unmittelbare Begegnung fehlt, spüren wir, wie wichtig sie ist. Der Händedruck, die Umarmung, der Blick in die Augen, Ostereiersuchen und gemeinsames Essen, die Gemeinschaft im Gebet und am Tisch Jesu Christi – all das lässt sich nicht digital erledigen. Hoffentlich erinnern wir uns daran auch in normaleren Zeiten.

Von Korinth bis nach Rom war der Brief des Paulus lange Zeit unterwegs. Heute kommunizieren wir in Echtzeit mit Menschen an den entferntesten Enden der Erde. Das ist ein Glück, aber es ersetzt die Gemeinschaft im selben Raum nicht. Und doch: verbunden sind wir nicht nur mit denen, die wir leibhaftig sehen, hören und spüren. Verbunden sind wir auch mit denen, die uns fern, und sogar mit denen, die uns fremd sind. Die Osterbotschaft lädt dazu ein, auch mit ihnen durch Gnade und Frieden verbunden zu sein.

Wer das in sich aufnimmt, wird die Abstandsregeln, die das Corona-Virus uns abverlangt, nicht länger als „soziale Distanz“ verstehen. Diese Redeweise führt genauso in die Irre wie die gedankenlose Übernahme eines Ausdrucks aus der Tiermedizin – „Herdenimmunität“. Das ist schlicht inhuman. Gerade in Krisenzeiten ist das Ethos der Sprache unentbehrlich. Wir wahren nicht soziale, sondern räumliche Distanz. Wir wahren sie aus Rücksichtnahme, also aus sozialen Gründen.

Auch bei gelockerten Regeln: Wir bleiben freiwillig auf Distanz

Diese Wochen sind durch eine große Solidarität mit Schwächeren und Älteren geprägt. Vor allem um ihretwillen wird Abstand gehalten. Viele verbinden mit diesem Osterfest die Hoffnung, dass die auferlegten Verhaltensregeln Schritt für Schritt gelockert werden. Denn es ist an der Zeit, dass Kinder wieder in die Schule und Erwachsene wieder an ihren Arbeitsplatz gehen können. Solche Lockerungen kommen nicht von heute auf morgen. Sie werden eher möglich, wenn alle Risikogruppen freiwillig eine Selbstverpflichtung auf sich nehmen.

Ich bin ein Risikokandidat. Gemeinsam mit anderen verpflichte ich mich heute dazu, die Solidarität, die wir erfahren haben, zu erwidern. Auch bei gelockerten Regeln: Wir schützen uns und bleiben auf Distanz, damit andere wieder zur Arbeit und zur Schule gehen können.

(Erschienen in der Rubrik: Wort zum Sonntag)