Eine neue Ära?

Die einen preisen es als "Gotteswerkzeug", andere sprechen von dem vermessenen Versuch, "Gott zu spielen": Gemeint ist das genomchirurgische Verfahren namens CRISPR-Cas9.

Eine Haltung des "Alles oder nichts" ist den neuen Möglichkeiten nicht angemessen. Abzuwägen sind Chancen und Risiken, schreibt Wolfgang Huber in einem Essay für die Frankfurter Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.09.2016 (Seite 6, Die Gegenwart).


Der Beitrag im Wortlaut:

"Was sind die nächsten Mauern, die fallen?" Danach fragt Jahr für Jahr in Berlin, jeweils am 9. November, die Konferenzserie "Falling Walls". Sie ergründet, welche Mauern heute fallen müssen oder niedergelegt werden können. Am 9. November 2015 berichtete Emanuelle Charpentier, Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, über die Mauer, die durch die Entwicklung eines genomchirurgischen Verfahrens überwunden werden soll, das den sperrigen Namen CRISPR-Cas9 trägt. Sie berichtete über das atemberaubende Tempo, in dem aus der Selbstverteidigung von Bakterien gegen Viren eine Methode abgeleitet wurde, präzise in ein Genom einzugreifen und es zu verändern. Revolutionär, so war die These, ist diese Methode nicht nur mit Blick auf das menschliche Genom. Von großer praktischer Bedeutung ist das Verfahren auch mit Blick auf Pflanzen und Tiere.

Man hat diese Neuerung bereits als "die medizinische Entdeckung des Jahrhunderts" bezeichnet. In populären Darstellungen wird sogar von einem "Gotteswerkzeug", in anderen von einer "Zauberschere" gesprochen. Wo eine wissenschaftliche Entdeckung mit derartigen Worten beschrieben wird, gerät das ethische Urteil leicht in den Sog gegenläufiger Deutungen. Sie oszillieren zwischen Mauerfall und Dammbruch, zwischen dem Aufbruch in eine neue Freiheit mit ihren ungeahnten Möglichkeiten und dem Abrutschen auf einer schiefen Ebene, auf der es kein Halten gibt. Euphorische Betrachtungsweisen steigern die Chancen des Neuen bis hin zu Heilsversprechen; apokalyptische Sichtweisen betrachten die Risiken als unabwendbares Unheil.

Was die einen als "Gotteswerkzeug" preisen, kritisieren die anderen als den vermessenen Versuch, "Gott zu spielen". Im einen wie im andern Fall leitet dabei ein merkwürdiger Gottesbegriff die Deutung naturwissenschaftlicher Entdeckungen. Gott als Welt-Demiurgen zu verstehen, der mit dafür geeigneten Werkzeugen die Evolution kausal steuert, ist mit einem reflektierten Gottesverständnis kaum zu vereinbaren. Denn dieses zielt auf den Sinn der Welt als guter Schöpfung und auf die Bestimmung des Menschen, zu dieser Güte beizutragen. Die Mitgestaltung der Welt mit den Möglichkeiten menschlicher Erkenntnis entweder als Entdeckung eines Gotteswerkzeugs zu preisen oder umgekehrt deshalb zu begrenzen, weil der Mensch dadurch in eine kausal definierte Funktion Gottes eingreife, ist im einen wie im andern Fall verfehlt. Im einen Fall wird der euphorische, im andern der apokalyptische Zugang zu neuen wissenschaftlichen Möglichkeiten religiös gesteigert; die kritische Auseinandersetzung mit solchen Zugängen wird dadurch gerade blockiert.

Leitend ist für beide Zugänge das Fortschrittsparadigma, bei den Apokalyptikern allerdings mit negativem Vorzeichen. Euphoriker und Apokalyptiker eint eine Haltung des Alles oder nichts. Eine ethische Reflexion über die Verantwortbarkeit menschlichen Verhaltens ist demgegenüber gut beraten, den Weg des Abwägens zu gehen. Abzuwägen sind Chancen und Risiken; zu bedenken sind die intendierten Ziele ebenso wie die beabsichtigten oder nicht beabsichtigten Folgen möglichen Handelns.

Verschiedene Beispiele für die Notwendigkeit ethischen Abwägens werden bereits diskutiert. Im Bereich der grünen Gentechnik können mit der neuen Methode Pflanzen entwickelt werden, die gegen Trockenheit, Schädlinge oder hohen Salzgehalt des Bodens immun sind oder sich besonders gut zur Energiegewinnung eignen. In Pflanzen oder Tieren kann das Erbmaterial auf dem Weg der direkten Einwirkung auf das Erbmaterial ("gene drive") so verändert werden, dass auf Dauer Resistenzen gegen bestimmte Infektionserreger erzielt werden; damit beeinflusst man zugleich den Genpool im Ganzen. Schon das ist auch für den Menschen von großer Bedeutung, wie das Beispiel der Gelbfiebermücke zeigt, die Zika-Viren auf Menschen überträgt. In solchen Fällen des "gene drive" kann man derartige Genomveränderungen nicht ohne ihre Auswirkungen für die jeweilige Gattung und ohne ihre Umweltfolgen betrachten.

Auch andere Formen der Anwendung auf Tiere wirken sich unmittelbar auf den humanmedizinischen Bereich aus: Wenn es beispielsweise gelänge, Gene aus dem Genom von Schweinen auszuschalten, die für den Menschen gefährlich sein können, rückte die Möglichkeit der Xenotransplantation von Tierorganen auf den Menschen in erreichbare Nähe. Die Komplexität der ethischen Fragen zeigt sich an solchen Beispielen eindrücklich.

Erst recht gilt das für die unmittelbare Anwendung der neuen Möglichkeiten auf den Menschen. Grundsätzlich ist zwischen der Genomchirurgie an Körperzellen und an Keimzellen zu unterscheiden. Genomchirurgie an somatischen Zellen ist in ihren Auswirkungen auf das jeweilige Individuum beschränkt; Eingriffe in die Keimbahn haben, wenn sich daraus Individuen entwickeln, Konsequenzen für alle Nachkommen dieser Individuen. Die lebensgeschichtlichen Implikationen von Keimbahneingriffen für die einzelne davon betroffene Person wie für ihre möglichen Nachkommen greifen also unvergleichlich viel weiter, als dies bei genomchirurgischen Eingriffen in die somatischen Zellen eines Menschen der Fall ist.

Eine Momentaufnahme der Problemlage reicht für das ethische Urteil nicht zu. Vielmehr muss man nach Entwicklungstendenzen fragen, die sich aus dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik ergeben können. Jürgen Habermas hat bereits im Jahr 2001 ein Szenario der mittelfristigen Entwicklung vorgetragen, das er schon damals für wahrscheinlich hielt. Er rechnete zunächst mit einer moralischen und rechtlichen Anerkennung der Präimplantationsdiagnostik (PID) für diejenigen Fälle, in denen auf Grund einer genetischen Vorbelastung eine schwere, für die Eltern und das betroffene Kind nicht zumutbare Erbkrankheit befürchtet werden muss. Die rechtliche Anerkennung der PID erfolgte tatsächlich im Jahr 2011.

Habermas hatte 2001 daran die weitere Prognose angeschlossen, dass im Zuge der weiteren Entwicklung der Biotechnik entsprechende gentechnische Eingriffe in Körperzellen oder gar Keimbahnen folgen würden, um vergleichbare Erbkrankheiten zu verhüten. Damit verbinde sich die Aufgabe, die somit gerechtfertigte "negative" Eugenik von einer - zunächst als ungerechtfertigt betrachteten - "positiven" Eugenik abzugrenzen. Doch diese Grenzen seien im Zuge der wissenschaftlichen Entwicklung fließend. Folglich sollten wir "genau in den Dimensionen, wo die Grenzen fließend sind, besonders präzise Grenzen ziehen und durchsetzen. Dieses Argument dient heute schon (sc. 2001) zur Verteidigung einer liberalen Eugenik, die eine Grenze zwischen therapeutischen und verbessernden Eingriffen nicht anerkennt, aber die Auswahl der Ziele merkmalsverändernder Eingriffe den individuellen Präferenzen von Marktteilnehmern überlässt."

Noch nach fünfzehn Jahren beschreibt dieses Szenario die Lage mit einer geradezu erschreckenden Genauigkeit. Die begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik hat den Rahmen bestimmt, innerhalb dessen nun über weiter gehende genomchirurgische Interventionen in Körperzellen und Keimzellen diskutiert wird. Dabei zeichnet sich schon jetzt als eine Schlüsselfrage ab, ob dabei mit ausreichender Trennschärfe zwischen solchen Interventionen unterschieden werden kann, die auf die Vermeidung oder Heilung von Krankheiten gerichtet sind, und anderen, die auf die Verbesserung der genetischen Ausstattung zielen.

In der ethischen Diskussion über neue medizinische Verfahren haben vier Prinzipien eine herausragende Bedeutung gewonnen: Fürsorge, Schadensvermeidung, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit. An diesen vier medizinethischen Prinzipien sollen im Folgenden die moralisch-ethischen Grundprobleme der Genomchirurgie erörtert werden.

Das Prinzip der Fürsorge wird treffender mit dem Wort "Wohltun" ("beneficence") bezeichnet. Die Aufgabe, anderen Gutes zu tun, also ihrer Verletzlichkeit mit Empathie zu begegnen, der Gefährdung ihres Lebens Einhalt zu gebieten, Leid zu vermeiden, zu überwinden oder doch wenigstens zu lindern - kurzum: Die Solidarität mit den Leidenden gebietet es, Möglichkeiten des Heilens zu entwickeln und zu nutzen. Gentechnische Verfahren sind dabei nicht ausgeschlossen; von ihnen wird im Bereich der Humanmedizin längst vielfältig Gebrauch gemacht. Wie wahrscheinlich es ist, dass genomchirurgische Verfahren vom Typ CRISPRCas9 an Körperzellen zu verlässlichen, treffgenauen, von unbeabsichtigten Nebenwirkungen freien Therapien bisher nicht ausreichend behandelbarer Krankheiten führen, ist noch nicht geklärt. Sollten diese Verfahren an somatischen Zellen solche Ergebnisse zeitigen, ohne mit negativen Folgewirkungen verbunden zu sein, wird das Prinzip der Solidarität mit den Leidenden dafür sprechen, solche therapeutischen Möglichkeiten zu entwickeln und einzusetzen.

Isoliert unter dem Gesichtspunkt der beneficence betrachtet, ist auch die Genomkorrektur an Keimzellen eine mögliche Wohltat. Wenn sie eine genetische Abweichung korrigiert, die vielleicht eine Erkrankung im Lebensverlauf zur Folge hat, dient sie der Vermeidung möglichen Leidens, verhindert gegebenenfalls den Ausbruch der Krankheit und macht darüber hinaus aufwendige und lästige Kontrolluntersuchungen sowie gegebenenfalls Therapien unnötig; die Genomkorrektur fördert also die Lebensqualität. Der Einwand, dass es sich um eine "künstliche", "unnatürliche" Beseitigung einer genetischen Fehlentwicklung handelt, wird zu Recht zurückgewiesen. Denn allen heilenden Eingriffen - sogar solchen der "Naturheilkunde" - ist gemeinsam, dass sie planmäßige Interventionen sind, die nicht einfach der Natur ihren Lauf lassen. Deswegen gibt es - im Unterschied zu naturwüchsigen Vorgängen - für all diese Prozesse auch personal identifizierbare Urheber, die zu verantworten haben, was sie durch ihre Intervention in Gang setzen. Auch Keimbahninterventionen gehören deshalb in den Horizont einer Ethik der Verantwortung.

Der mögliche Patientennutzen ist nur einer der Gesichtspunkte, unter denen die Keimbahnintervention zu betrachten ist. Über ihn hinaus ist zu fragen, ob eine Prüfung an anderen Prinzipien als dem der beneficence zu einem vergleichbar positiven Ergebnis führt. Neben die beneficence tritt die nonmaleficence, die Pflicht der Schadensvermeidung. Bei Eingriffen in die Keimbahn sind zwei Aspekte zu unterscheiden. Der eine Aspekt bezieht sich auf unbeabsichtigte Mutationen an anderen Stellen im Genom (Off-target-Wirkungen), auf unbeabsichtigte Nebenwirkungen der gezielten Beseitigung eines genetischen Defekts oder auf epigenetische Effekte, die sich aus der Wechselwirkung zwischen Genen und Umweltfaktoren ergeben. Solche Auswirkungen - das ist der andere Aspekt - betreffen nicht nur das Individuum, an dem im embryonalen Entwicklungsstadium die betreffenden Interventionen vorgenommen wurden; sie betreffen ebenso dessen Nachkommen - und zwar über die Abfolge der Generationen hinweg in einer zeitlich nicht abgrenzbaren Weise. Welchen Zeithorizont muss man für die zureichende Beantwortung dieser sowohl die gesamte Lebensgeschichte des Einzelnen als auch die Abfolge der Generationen betreffenden Fragen ansetzen? Wann können die entsprechenden Fragen - negativ oder positiv - als beantwortet gelten? Das ist völlig offen. Deshalb ist der Weg eines Moratoriums für solche Interventionen - mit dem sich ja immer die Vorstellung einer zeitlichen Befristung verbindet - durchaus fragwürdig. Die Frage heißt: Reicht ein Moratorium aus?

Ethisch betrachtet, handelt es sich um einen klassischen Fall für das Prinzip der Schadensvermeidung in einer spezifischen Fassung, nämlich als Vorsichtsprinzip, als precautionary principle. In aller Kürze lässt sich der Sinn dieses Prinzips aus der Fassung herleiten, die Hans Jonas dem kategorischen Imperativ als Grundprinzip der Moral gegeben hat: "Handle so, dass die Folgen deines Handelns vereinbar sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden." Der Imperativ formuliert den Anspruch auf eine Permanenz der Menschheit. Die Autonomie des Menschen schließt die Selbstaufhebung der Gattung nicht ein. Denn das Recht der Menschen, in kommunikativen Prozessen Entscheidungen zu treffen, schließt nicht das Recht ein, künftigen Generationen die Möglichkeit zu verweigern, eigene kommunikative Verständigungen überhaupt herbeizuführen. Deshalb bildet das Vorsichtsprinzip (wie man besser statt "Vorsorgeprinzip" sagen sollte) eine Grenze für mögliche Entscheidungen über die Zukunft.

Das religiöse Motiv der Schöpfung wird bei Jonas in den ethischen Grundsatz umgeformt, dass uns die Welt nach uns und mit ihr die Menschheit nach uns ethisch angeht. Je präziser wir die künftigen Wirkungen möglichen Handelns einschätzen und eingrenzen können, desto klarer können wir dessen Verantwortbarkeit beurteilen. Je undeutlicher diese künftigen Wirkungen sind, desto mehr ist Vorsicht geboten.

Mit Blick auf die neuen Methoden der Genomchirurgie werden deshalb auch bei Anwendung dieses Prinzips fehlerarme Eingriffe zur Heilung oder Vermeidung von Krankheiten in Körperzellen moralisch zu rechtfertigen sein. Mit der Anwendung auf die menschliche Keimbahn dagegen können sich langfristige Auswirkungen ungewisser Art und ungewisser Reichweite verbinden.

Nun mag man argumentieren, dass das Ausmaß des Nutzens genomchirurgischer Eingriffe in die Keimbahn ein erhöhtes Risiko rechtfertigt. Damit können jedoch auf keinen Fall Risiken gemeint sein, deren Ausmaß und deren Eintrittswahrscheinlichkeit sich gegenwärtig gar nicht einschätzen lassen und von denen man nicht weiß, ob sie die Adressaten der therapeutischen Strategie oder andere treffen. So lange solche Risiken weder ausgeschlossen noch in ihrem Ausmaß beschrieben werden können, ist ein international vereinbartes Verbot gentechnischer Eingriffe in die Keimbahn in einer moralischen Perspektive vergleichbar plausibel wie ein Verbot des Klonens.

Als drittes Prinzip ist die Selbstbestimmung zu betrachten, allgemeiner gesagt, der Respekt vor der menschlichen Person oder auch das Personalitätsprinzip. Ein egalitärer Universalismus der gleichen Würde kann sich mit unterschiedlich akzentuierten Vorstellungen von der menschlichen Person verbinden. Für den durch Christentum und Aufklärung geprägten Kulturkreis ist die Vorstellung von einer unverwechselbaren, zur Freiheit bestimmten und zur Verantwortung befähigten Person leitend geworden. Im Vergleich zu Sachen sind Personen durch Unverwechselbarkeit bestimmt. Zur Würde des Menschen gehört es, dass er als Person nicht austauschbar ist. Das bleibt er nur, solange er nicht einem von anderen entworfenen Bauplan gemäß konstruiert und produziert wird. Seine Freiheit hat mit der Unverfügbarkeit der Bedingungen wie den Gelegenheiten seines Lebens zu tun; Freiheit zeigt sich als Gestaltung von Kontingenz. Aus diesen Gründen spielt die Grenze zwischen Heilung und Verbesserung ("enhancement"), zwischen Leidvermeidung und Glückskonstruktion, zwischen Bewahrung und Verfertigung, zwischen Therapie und Perfektion eine entscheidende Rolle.

Autonomie und Unverfügbarkeit der Person gehören unlöslich zusammen. Von Anfang an hat dieser Gesichtspunkt in der Diskussion über die Gentechnik eine große Rolle gespielt. Die Grenze, auf die es hier ankommt, wurde aus unterschiedlichen Perspektiven markiert. Jürgen Habermas fragte beispielsweise, "ob die Technisierung der Menschennatur das gattungsethische Selbstverständnis in der Weise verändert, dass wir uns nicht länger als ethisch freie und moralisch gleiche, an Normen und Gründen orientierte Lebewesen verstehen können". Der amerikanische Philosoph Michael Sandel verdeutlichte diese Grenze an der Beziehung zwischen Eltern und Kindern, also an ebender Lebensbeziehung, die am stärksten von der Vorstellung geprägt ist, der eine habe das Recht, ja sogar die Pflicht, das Beste zum Wohl des andern zu planen und zu tun.

Mögen die Ziele einer genetischen Verbesserung des Kindes noch so begrüßenswert sein - beispielsweise der musikalischen Begabung oder des sportlichen Könnens -, so ist der Versuch, die eigenen Kinder genetisch zu verbessern, dennoch unvereinbar mit dem ethischen Paradigma der "bedingungslosen" elterlichen Liebe. Während das Vorsichtsprinzip eine universale moralische Norm darstellt, ist der Personbegriff, mit dem hier argumentiert wird, ein ethischer Wert, für den religiöse und kulturelle Prägungen geltend gemacht werden. Aber er verträgt sich ohne Zweifel besser als andere Menschenbilder mit dem Gedanken einer Menschenwürde, die für jeden, unbeschadet aller Unterschiede, in gleicher Weise gelten soll. Der Personbegriff führt mit einer inneren Notwendigkeit zu einer Haltung gegenüber neuen gentechnischen Möglichkeiten, in der diese auf therapeutische Ziele beschränkt und nicht für Maßnahmen der Verbesserung eingesetzt, in den Dienst des Heilens und nicht der Perfektion gestellt, also allein der negativen und nicht der positiven Eugenik dienstbar gemacht werden.

Die praktische Anwendung dieser Unterscheidung verlangt Weisheit. Auch die Rasanz ihrer eigenen Entdeckungen sollte Wissenschaftler nicht davon abhalten, nach dem Bild vom Menschen zu fragen, an dem sie sich orientieren, und die Ziele zu bedenken, für die ihre Entdeckungen eingesetzt werden sollen - oder eben nicht. Auch die Möglichkeiten der Genchirurgie sollten die Einsicht nicht verstellen, dass der Mensch sich nicht "machen" lässt. Es wäre genetischer Determinismus, wenn man aus den neuen Möglichkeiten eine Gewissheit darüber ableiten wollte, dass ein Menschenleben leidfrei verläuft. Jeder weitere Fortschritt birgt auch neue Ungewissheiten und offene Fragen in sich. Auch in Zukunft werden Menschen lernen müssen, mit ihrer Verletzlichkeit umzugehen und ihre Schwäche einzugestehen. Demut bleibt nötig, allen "Zauberscheren" zum Trotz.

Die Aussagen darüber, ob und wie lange genchirurgische Maßnahmen vor der Grenze der positiven Eugenik haltmachen werden, sind in der aktuellen Diskussion breit gestreut. Eine Voraussetzung dafür, dass diese Grenze klar bestimmt und eingehalten wird, liegt in einer öffentlichen Diskussion darüber, ob dem Prinzip der Personalität eine begrenzende Bedeutung gegenüber den Versuchungen genetischer Veränderungen zuerkannt wird.

Als viertes und letztes Prinzip ist das Gerechtigkeitsprinzip zu nennen. Die Frage, wie sich zwischen negativer und positiver Eugenik unterscheiden lässt, wird spätestens dann gestellt werden, wenn es um die Finanzierung genomchirurgischer Behandlungen gehen wird. So fließend die Grenze auch sein mag, so wird man sie doch ziehen, wenn es um Geld geht. Der Gemeinschaft der Versicherten wird man nur die Finanzierung von Behandlungen zumuten, die zur Behebung von Krankheiten notwendig, medizinisch effektiv und in ihren Kosten vertretbar sind. Maßnahmen des "enhancement" würden, wenn sie überhaupt zugelassen würden, auf absehbare Zeit von der Kassenfinanzierung ausgenommen sein. Sie wären demnach nur für Menschen erschwinglich, die sich diese zusätzlichen Ausgaben leisten könnten und wollten.

Nehmen wir an, die Förderung von musikalischer Begabung, sportlichem Vermögen, wissenschaftlicher Exzellenz oder beruflicher Leistungsfähigkeit wäre tatsächlich durch positive Eugenik zu erreichen, dann würde gesellschaftliche Ungleichheit durch gentechnische Mittel verstärkt. Befähigungsgerechtigkeit und daraus folgend Beteiligungsgerechtigkeit würden, zusätzlich zu ohnehin bestehenden sozialen Unterschieden, auch noch durch den ungleichen Zugang zu Möglichkeiten der Verbesserung beeinträchtigt.

Zusätzlich ist auf einen rechtsethischen Aspekt der aktuellen Diskussion hinzuweisen. Wie Experimente in China zeigen, soll derzeit die Forschung an der menschlichen Keimbahn durch die Nutzung von Embryonen vorangetrieben werden, die nicht zur Implantation bestimmt sind. Damit wird eine weitere Schwelle zur Embryonenforschung überschritten, die für Deutschland mit dem Embryonenschutzgesetz von 1990 als unüberwindbar festgeschrieben werden sollte. Unabhängig davon, ob dieses Gesetz wegen unvollständiger oder überholter Regelungen einer Revision bedarf, ist zu fordern, dass der Grundsatz, menschliche Embryonen nur zu Zwecken der Reproduktion herzustellen, nicht durch die Forschung zur Genomchirurgie noch weiter gehend als bisher ins Wanken gerät und schließlich fällt.

Die Genomchirurgie erweist sich als ein herausgehobenes Beispiel für eine Ethik der Verantwortung, die sich rechtzeitig mit den langfristigen individuellen wie gattungsgeschichtlichen Auswirkungen heute möglicher Handlungen beschäftigt. Die neuen Möglichkeiten nötigen zu einer klaren Grenzziehung zwischen therapeutischen Zielen und Perfektionierungszielen in der Humanmedizin.

Moralische und ethische Gesichtspunkte sprechen dafür, mögliche Eingriffe zu therapeutischen Zwecken an Körperzellen weiter zu erforschen und zu fördern, von weiter gehenden Eingriffen in die menschliche Keimbahn dagegen abzusehen, solange es für moralische und ethische Einwände der vorgetragenen Art triftige Gründe gibt.

* * *