Mohammed-Karikaturen in die Schulen?

Sie sollen Pflichtthema im Unterricht werden, fordert ein Aufruf von Wissenschaftlern, Politikern und Intellektuellen. Wolfgang Huber ist anderer Meinung.

Ein Widerspruch

Karikaturen vermitteln Schülern nicht das Dilemma zwischen Meinungs- und Religionsfreiheit

Der Vorschlag, die Mohammed-Karikaturen zum Unterrichtsthema zu machen, ist nicht neu. Nun aber sollen sie, wie die Unterzeichner obenstehenden Aufrufs fordern, zum Pflichtthema werden. Diese Forderung wird allerdings sofort zurückgenommen. Für Schülerinnen und Schüler soll das Betrachten der Karikaturen optional sein; die Lehrkräfte sind vor Überforderung zu schützen.

Diese Karikaturen schlechthin zum Unterrichtsstoff zu erheben, ergibt keinen Sinn. Denn unter ihnen ist nur eine von bleibender Bedeutung. Sie stammt vom dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard und zeigt den Propheten mit einem Turban in Gestalt einer Bombe mit gezündeter Lunte. Der Sinn dieser Karikatur ist eindeutig; es geht, so Stéphane Charbonnier, einer der zwölf Ermordeten des Charlie Hebdo-Anschlags von 2015, um die „Instrumentalisierung der Religion durch Terroristen“. Oder in den Worten des Künstlers: „Die Terroristen haben den Propheten Mohammed als Geisel genommen“, sie benutzen den Islam als „spirituelle Munition“. Das muss ein Pflichtthema sein, nicht die „Karikaturen“.

Westergaards Karikatur wurde und wird als Rechtfertigung für das benutzt, was sie beklagt. Unter Berufung auf die Mohammed-Karikaturen wurden Menschen umgebracht und Häuser in Brand gesetzt. Journalisten wurden ermordet. Kurt Westergaard braucht bis zum heutigen Tag Polizeischutz. Mit Samuel Paty wurde in Frankreich ein Lehrer ums Leben gebracht.

Mit einem Dilemma zwischen Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit hat das alles nichts zu tun. In keinem der Länder, in denen die Mohammed-Karikaturen veröffentlicht wurden, wird die Religionsfreiheit eingeschränkt. Deren Verletzung ist vielmehr genau in solchen Ländern zu beklagen, in denen zu gewaltsamen Reaktionen auf die Karikaturen aufgerufen wurde.

Freispruch für Kurt Westergaard im Blasphemie-Prozess

Wenn es eine Spannung gibt, so ist es die zwischen Kunstfreiheit und religiösen Gefühlen. George Grosz wurde wegen seiner Zeichnung Christus mit der Gasmaske 1928 in Deutschland wegen Blasphemie angeklagt, ebenso erging es Kurt Westergaard in Dänemark. Beide wurden schließlich freigesprochen. Die Prozesse zeigen, dass in einem Rechtsstaat die Abwägung zwischen Freiheit und Pietät gelingen kann. Von „Blasphemie“ redet man in solchen Zusammenhängen nicht mehr. Aber wenn die Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, steht das heute noch unter Strafe.

Die muslimische Delegation aus Dänemark, die an der Jahreswende 2005/06 nach Kairo reiste, um bei dem obersten Theologen des sunnitischen Islams, Großscheich Tantawi, eine Verurteilung der Mohammed-Karikaturen zu erwirken, hatte in ihr Beweismaterial zwei Bilder eingeschmuggelt, die gar nicht zu diesen Karikaturen gehörten: Eines zeigte einen Mann, der sich bei einem südfranzösischen Schweine-Quiek-Wettbewerb mit Schweineohren und Rüssel ausgestattet hatte; auf einem anderen wurde ein Mann von einem Hund bestiegen. Nun wurden diese Bilder als Mohammed-Karikaturen ausgegeben. Vielleicht haben sie Tantawis Urteil bestimmt und die Empörung in islamischen Ländern befeuert. Daraus ergibt sich ein weiterer Unterrichtsgegenstand: die verhängnisvolle Wirkung von Fake-News. Das angebliche Dilemma zwischen Meinungs- und Religionsfreiheit
taugt dagegen als Pflichtthema an deutschen Schulen nicht. Das Verhältnis von Religion und Gewalt dagegen sehr.

„Wenn Religion Menschen zu Mördern macht, weint Gott“

Bildung kann etwas bewirken. Christus mit der Gasmaske von George Grosz hat inzwischen Eingang in die Religionsbücher gefunden – als Mahnung gegen Unmenschlichkeit. Der gerade verstorbene britische Oberrabbiner Lord Jonathan Sacks hat es auf den Punkt gebracht: „Wenn Religion Menschen zu Mördern macht, weint Gott“.

Beitrag in der Wochenzeitung Die Zeit vom 3. Dezember 2020 (€)

(Die Zwischenüberschriften wurden hier eingefügt.)