#Twitterfalle: Nicht alles geht in 280 Zeichen

Auch in Zeiten von Smartphones und Sozialen Medien ist es für die Kirche unentbehrlich, dass sie eine Gemeinschaft von „kohlenstoffförmig“ Anwesenden ist.

"Darin erschöpft sich die Kirche nicht, aber ohne das Ereignis physischer Kopräsenz gibt es keine Kirche“, schreibt Wolfgang Huber in einer Herausgeber-Kolumne für das evangelische Magazin zeitzeichen (März 2019). Der Beitrag hier im Wortlaut:

Nicht alles geht in 280 Zeichen
Über die Ambivalenz moderner Kommunikation

Von Wolfgang Huber

„Proust statt Posts“ heißt die Devise, mit der Thomas Gottschalk, der begnadete Entertainer, seine neue Rolle als „Literaturkaplan“ ankündigt – das heißt vermutlich: als Seelsorger für Bücher. Ausgerechnet Marcel Prousts siebenbändigen Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ macht er damit zum Flaggschiff der Armada, mit der er diesmal in See sticht. Aber er wird wohl trotzdem eher kürzere Werke empfehlen.

Auch Gottschalk sorgt sich darüber, in welchem Verhältnis künftig die analogen und die digitalen Elemente menschlichen Lebens und insbesondere menschlicher Kommunikation zueinander stehen werden. Wer sich auf dieses Gewässer wagt, muss mit Gegenwind rechnen. Wer digitale Technologien als Instrumente ansieht, die für die Arbeit nützlich und für die Unterhaltung ersprießlich sind, dabei aber ihren Beitrag für gelingende Kommunikation zwischen Menschen als begrenzt einschätzt, muss mit scharfem Gegenwind rechnen. Als fortschrittlich gilt es dagegen, in den digitalen Medien einen Sozialraum eigener Art, vielleicht sogar den gegenwärtig wichtigsten Sozialraum zu sehen. Auf dieser Grundlage ist neuerdings sogar von „digital church“ oder „confessio digitalis“ die Rede. Dass „Digitalis“ der botanische Name für den giftigen Fingerhut ist, bleibt in solchen Zusammenhängen besser unerwähnt.

Unlängst haben sich mehrere Kübel digitalen Spotts über mich ergossen, weil ich davor warnte, die digitalen Medien als Allheilmittel für die Kirche zu betrachten. Dass ich einen kurzen Ausschnitt aus einem Diskussionsbeitrag ausgerechnet auf Twitter veröffentlichte, machte die Sache noch schlimmer. Etwas polemisch hatte ich geschrieben, die Kirche müsse „ein Ort sein, an dem sich Menschen begegnen und sich nicht durch Twittern aus dem Weg gehen.“ Die #digitalekirche war voller Empörung. Einhellig wurde vor dem Schaden für die „Sozialen Netzwerke“ gewarnt, „wenn vor allem ältliche Bischöf*innen sich meist kritisch zu dem äußern, was sie vom Digital mitkriegen und/oder verstanden haben.“

Immer wieder wird die Forderung nach Offenheit für die digitalen Medien durch den Vergleich mit dem medialen Quantensprung begründet, den die Kunst des Buchdrucks für die Reformation bedeutete. Der Vergleich ist richtig, lehrt aber auch, auf die Ambivalenz in der Nutzung von Kommunikationsmitteln zu achten. In der Zeit der Reformation konnte die Buchdruckerkunst auch für Ablassbriefe und Schmähschriften verwendet werden, nicht nur für die 95 Thesen oder die Bibelübersetzung. Schon damals galt die Erfahrung, dass Menschen medial anders miteinander umgehen als in der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht. Die ethische Forderung, über Menschen in deren Abwesenheit nicht anders zu reden, als man es auch in ihrer Anwesenheit täte, wird gerade in den sogenannten „social media“ immer wieder unterlaufen. Wer leugnet, dass darin ein gravierendes Problem liegt, hat innerhalb dieser Medien eine besonders idyllische Blase erwischt.

Auch Luther hat nicht nur publiziert, sondern den Menschen aufs Maul geschaut. Auch heute ist es für die Kirche unentbehrlich, dass sie eine Gemeinschaft von „kohlenstoffförmig“ Anwesenden ist. Darin erschöpft sich die Kirche nicht, aber ohne das Ereignis physischer Kopräsenz gibt es keine Kirche.

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